Pater überwacht Waffenstillstand

PhilippinenText von Tilman Wörtz
Fotos von Paul Hahn

Viele unsichtbare Fronten verlaufen durch Mindanao. Um nicht in die Schusslinie zu geraten, erklären sich Dörfer zu neutralen Peace Zones. Einen echten Schutz gewähren die „Zonen des Friedens“ nur durch unabhängige Beobachter. Deshalb mobilisiert Pater Bert Layson ein Netzwerk von Bauern, Geistlichen und Politikern. Und eine gut funktionierende Waffenstillstands-Wacht.

Pater Bert ist ein toleranter Mensch. Er lässt sogar sein weißes Hündchen „Frieden“ Frösche quälen. Das ist Friedens Lieblingsbeschäftigung. Hüpft ein Frosch über die Terrasse des „Konvents der Unbefleckten Empfängnis“ macht Frieden einen Satz und apportiert den Frosch zur Stelle, an der er losgehüpft ist. Das wiederholt Frieden so lange, bis der Frosch gar nicht mehr richtig hüpfen will.

„Es ist nun mal ein Hund“, sagt Pater Bert dann und lacht. Sein Lachen passt gut zu Badelatschen, Boxershorts und randloser Brille. Er sieht jünger aus als seine 45 Jahre und wirkt manchmal fast schüchtern. Seine Toleranz erstreckt sich auch auf Religiöses. In einem Eck seines Zimmerchens lehnt ein eingerollter Gebetsteppich. Den hat er von einer Reise aus Malaysia mitgebracht – für die muslimischen Mitarbeiter seines Konvents. „Es sind nun mal Muslime“, sagt Pater Bert. „Ihre Religion schreibt fünf Mal Beten am Tag vor.“

Auf Mindanao bekriegen sich Regierungstruppen und „Islamische Moro-Befreiungsfront“

Aber seine Toleranz hört auf, wenn Bomben auf Zivilisten fallen und bedrohen, was auf den Philippinen „Friedenszonen“ genannt wird: Gemeinden, denen Militär und Rebellen garantiert haben, sie nie wieder zu Schlachtfeldern zu machen. Heute ist wieder so ein Tag. Die Nachricht kommt per SMS: „Bombardierung in Liguasan, einige Tote, auch Flüchtlinge“. Dann sagt Pater Bert nicht: „Es sind nun mal Militärs.“ Dann steigt er in seinen blauen Suzuki-Geländewagen, Marke „Samurai“, und erfüllt seine Mission.

Seit dreißig Jahren bekriegen sich auf Mindanao, der südlichsten der drei großen philippinischen Inseln, Regierungstruppen und die „Islamische Moro-Befreiungsfront“ (MILF). Sechzigtausend Leben hat der Krieg bis heute gekostet und eine Million Flüchtlinge durchs Land gehetzt. Wie schon so oft sitzen die Feinde am Verhandlungstisch. Diesmal stehen die Chancen für eine Einigung besser als je zuvor, nicht zuletzt wegen mutiger Zivilisten wie Pater Bert. Er mobilisiert Dörfer zu „Friedenszonen“. Vierzig „Peace Zones“ gibt es bereits auf den Philippinen, die beständig Rebellen und Regierung zu einer politischen Lösung des Konflikts drängen.

Die SMS stammt von einem der sechzig Reisbauern, die Pater Bert mit Handys bewaffnet hat. Sie simsen aus ihren Dörfern in Zentral-Mindanao, wenn mal wieder der Waffenstillstand gebrochen wurde. Eine SMS, ein Peso, umgerechnet ein Cent, das kann sich selbst ein Reisbauer leisten. Pater Bert leitet die Nachrichten nach Manila an die Präsidentenberaterin für den Frieden weiter, an das „Netzwerk Frieden“, in dem rund vierhundert Nichtregierungsorganisationen verbunden sind, und an seine „Waffenstillstands-Wacht“, die durch Dörfer, Sümpfe und Reisfelder patroulliert und unabhängige Daten über Tote und Flüchtlinge sammelt.

Pater Bert kennt sich aus mit Bomben

Pater Bert selbst bringt die Waffe zum Einsatz, von der er glaubt, sie sei die stärkste überhaupt: das Wort. Er fährt durch eine idyllische Reisfeldlandschaft, deren Ähren wie ein grüner, vom Wind bewegter Seidenschleier wirken. „Dort gab es einen Hinterhalt. Zwei Tote,“ kommentiert er vor einer Biegung. „Und da hat eine Bombe eingeschlagen, hundert Kilo, dem Krater nach zu urteilen.“ Pater Bert kennt sich aus mit Bomben.

Um der Armee die Nachschublinie abzuschneiden, besetzten Rebellen vor vier Jahren an einer Brücke den Narciso Ramos-Überlandweg, die einzige Straße durch Zentral-Mindanao. Die Einwohner des nahegelegenen Dorfes Nalapa´an blieben zwischen den Fronten stecken. Pater Bert durchbrach die Linien mit seinem blauen Samurai, schrie einen Offizier an, der ihn daran hindern wollte, verhandelte mit den Rebellen und der Armee. Wenige Stunden nachdem die Zivilisten in seinen Konvent der Unbefleckten Empfängnis geflüchtet waren, schlugen die ersten 105mm-Granaten in Nalapa´an ein.

Pater Berts Konvent war nun ein Flüchtlingslager. Die Masern brachen aus. Achtzig Kinder starben. Oder waren es hundertzwanzig? Pater Bert hörte auf zu zählen. Kein internationaler Beobachter führte Opferstatistiken wie in Afghanistan oder dem Irak. Dafür scheint ihnen der Krieg auf Mindanao zu unbedeutend.

„Wir wollen die Bevölkerung nur schützen“, behaupteten Rebellen und Armee, wenn sie in die Dörfer einmarschierten. „Dann lasst sie doch einfach in Ruhe!“ forderte Pater Bert und bekam zumindest für Nalapa´an eine Sicherheitsgarantie von beiden Seiten. Auf mehr wollten sie sich zunächst nicht einlassen.

Die Friedenszone ist verletzlich und hat keinen bewaffneten Schutz

„Beginn der Friedenszone Nalapa´an“ steht auf einem Schild, in das ein Moped einen Knick gefahren hat. Die Friedenszone ist verletzlich. Sie hat keinen bewaffneten Schutz und unterscheidet sich äußerlich kaum von jedem anderen Dorf auf Mindanao: Verstreut zwischen Bananenstauden und Kokospalmen stehen Stelzhütten aus Bastmatten und Palmblättern, ohne Strom und fließend Wasser. Nichts lässt erkennen, ob eine Hütte einem Christen oder Muslimen gehört.

Das Besondere an Nalapa´an offenbart sich im Detail: Kinder spielen auf einem neuen Basketballplatz Fangen, statt „Evakuierungszelt aufbauen“, christliche Kinder verstehen wieder die Sprache der muslimischen und umgekehrt. Ihre Eltern helfen sich auf den Feldern: die Muslime bei der Maisernte der Christen, die Christen bei der Reisernte der Muslime. Für zwölf geerntete Sack gibt´s einen als Lohn für den Helfer.

Nalapa´an wurde während der Gefechte 2001 und 2003 nicht wieder zerstört wie in den Jahren zuvor. Rebellen und Armee kämpften weiter westlich. Nach dem kleinen Frieden kamen Hilfsorganisationen und brachten Ziegen, Saatgut, Pflüge, verlegten Wasserrohre, bauten Straßen und Häuser. Auch die Caritas beteiligte sich am Wiederaufbau. Bei so viel Unterstützung wollte die Regierung nicht untätig erscheinen und reparierte die Dorfstraße. Die anderen Gemeinden wurden neidisch und wollen nun in die Friedenszone integriert werden.

Klar, am Anfang wird gebetet, alle gemeinsam, aber dann?

Um einen langen Holztisch in Nalapa´an, den ein Palmdach vor der tropischen Sonne schützt, sitzen sieben ehrwürdige Herren. Es sind die Dorfchefs von Panicupan, Dalinga´an, Takepan und anderen `ans, christliche und muslimische. Sie halten Rat. Wie soll die Ausrufung der Friedenszone Ende November im Konvent der Unbefleckten Empfängnis zelebriert werden? Klar, am Anfang wird gebetet, alle gemeinsam, aber dann? „Nachdem wir die Erklärung verlesen haben, sollte das Finale des ersten Inter-Dorf Basketball-Turniers ausgetragen werden“, schlägt der Dorfchef von Dalinga´an vor. Die meisten sind dafür. „Habt ihr vom Angriff im Liguasan-Sumpf gehört?“ fragt einer. „Ob jetzt die Vergeltung folgt?“

Der stämmige Tiborcio Flores mit den runden Brillengläsern, Chef von Panicupan, ist der älteste der Runde und bringt die Beratung nach einer Weile auf den Punkt. „Auf die richtigen Gäste kommt´s an. Wir müssen außer dem Zentralkomitee der MILF auch einen Repräsentanten des militärischen Arms dabei haben. Nur der kann glaubhaft zusichern, dass die MILF nicht wieder in die Friedenszone eindringt.“

Flores weiß, wie Rebellen ticken. Er hat sie ein Soldatenleben lang bekämpft. 21 Kugeln haben sich in seinen Körper gebohrt. Eine steckt noch, zwischen Schienbein und Wadenmuskeln. Eine Tapferkeitsmedaille hat ihm der philippinische Staat verliehen. Flores war ein gehorsamer Soldat. Auch seine zwei älteren Brüder. Aber die wurden bei Kämpfen getötet. Deshalb ging der Posten des Dorfchefs von Panicupan auf Flores über.

In einer seiner ersten Amtshandlungen erklärte er Pater Bert für verrückt. „Mit Moslems verhandeln? Das sind Rebellen, Mörder ohne Grund!“ Heute sieht er das anders, skizziert einen großen Kreis auf ein Blatt Papier: die Friedenszone. Sie enthält zwei kleinere Kreise: Armee und Rebellen. „Im Krieg gibt es keinen Feind außer den Krieg selbst“, sagt Flores, „wir alle sind Opfer. Das muss in die Erklärung.“ Die anderen stimmen zu. Der Satz stammt von Pater Bert. Aber das weiß keiner mehr, weil er so oft von allen wiederholt worden ist.

Für Flores hat er eine besondere Bedeutung. Bei seinem letzten Gefecht, der Erstürmung des Städtchens Tulunam, entdeckte er, dass seine Feinde mit dem amerikanischen M-16-Gewehr kämpften – das gleiche Modell, mit dem er zuvor auf sie geschossen hatte. Auf den medizinischen Verbandskästen war zu lesen: „Eigentum der philippinischen Armee“. Flores erkannte, dass er es hier nicht mit Beutegut der Rebellen, sondern der Ware eines korrupten Offiziers zu tun hatte, der Armeebestände an den Feind verkauft hatte.

Ihm fielen andere Geschichten ein, die unter Soldaten erzählt werden: Dass ein Offizier nur dann General werden kann, wenn er beim Einsatz in Mindanao Orden und Sterne erworben hat. Viele Gefechte werden allein aus diesem Grund angezettelt. „Star Wars“ heißt deshalb der Bürgerkrieg auf Mindanao.

Die Mitarbeiter des Konvents kamen in sein Dorf und hielten Friedensseminare. Nicht Christen und Muslime bekämpften sich, erklärten sie, sondern Regierung und Rebellen. Erst durch den Konflikt zwischen diesen Gruppen gebe es nun auch einen in den Dörfern. Haben sich Muslime und Christen vor dreißig Jahren etwa ebenso gehasst wie heute? Und alle sagten nein, wir haben sogar untereinander geheiratet.

Als Tiborcio Flores klar wurde, für welch einen sinnlosen Krieg er sein Leben riskiert hatte, fand er den Pater plötzlich gar nicht mehr verrückt.

Muslime und Christen spielen Basketball in gemischten Mannschaften

Pater Bert hält sich der Ratsversammlung der Dorfchefs fern. „Ihr erklärt die Friedenszone, nicht ich“, sagt er, wenn sie ihn wieder einmal zu den Rebellen vorschicken wollen. „Du weißt, wo die stecken, kennst ihre Camps!“ Er geht stattdessen zum Basketballplatz, wo sich die Mannschaften für die Vorrundenspiele des Inter-Dorf-Turniers warm machen. Muslime und Christen spielen in gemischten Mannschaften. Bevor die Friedenszone geplant war, gab es keine Turniere zwischen Dörfern. Und auch keine Beratungen der Chefs.

Probleme zwischen Familien wuchsen sich zu jahrelangen Blutfehden aus. Vergangenen Dezember wäre es beinahe wieder so weit gekommen. Die schwangere Frau eines gewissen Roberts wurde ermordet. Zwei muslimische Jugendliche, vollgepumpt mit Drogen, wurden der Tat verdächtigt. Robert hat viele Verwandte, die sich als Paramilitär ein Zubrot verdienen. Am Tag darauf wurde der muslimische Nachbar von Robert ermordet.

Auch Mitglieder seiner Familie standen unter Waffen, allerdings bei den Rebellen. Der Konflikt drohte zu eskalieren. Da versammelten sich die Dorfchefs und brachten die Familien dazu, auf weiteren Mord und Totschlag zu verzichten.

Die Fehde hätte auch anders ausgehen können. Am Nachmittag kommt die Waffenstillstands-Wacht zurück, die Pater Bert per SMS losgeschickt hatte. Auf halben Weg in den Liguasan-Sumpf hatte sie Nachricht erhalten, dass sich Rebellen und Armee in einer Ortschaft vierzig Kilometer entfernt auf dem Marktplatz gegenüber stünden. Panzer fuhren auf, ein Hubschrauber zog seine Kreise und ein Soldat lag tot am Boden. Auch dieses Scharmützel begann als Blutfehde zwischen einer christlichen und muslimischen Familie. Beide Seiten nutzten familiäre Beziehungen zu Armee und Rebellen – und die kamen dem Ruf nach Verstärkung glatt nach.

Baba Butz hat den Glanz eines kleinen Kindes in den Augen

„Wir konnten eine Eskalation verhindern!“ triumphiert Baba Butz, der Leiter der Wacht. Er hat den Glanz eines kleinen Kindes in den Augen, das beim Indianer spielen die Cowboys besiegt hat. Genau genommen hat nicht er Panzerführer und Rebellenkapos zurückgepfiffen, sondern das „Gemeinsame Komitee von Armee und Islamischer Befreiungsfront zur Überwachung des Waffenstillstands“.

Aber egal, Baba Butz stand daneben. „Das Gemeinsame Komitee würde seine Arbeit ohne unsere Anwesenheit nicht ernst nehmen“, sagt Baba Butz. Pater Bert wird später sagen: „Baba Butz versteht langsam, dass er durch seine Arbeit nicht nur die Friedenszone, sondern den gesamten Friedensprozess auf den Philippinen unterstützt.“

Baba Butz ist ein herzlicher Mensch mit großen, weichen Augen. Aber wenn ihn niemand beobachtet, fallen seine Mundwinkel nach unten, die Lippen werden dünn, der Blick starr. Sein Leben vor Pater Bert, sein Leben als Kommandeur eines 1.300 Mann starken Rebellentrupps, hat Spuren hinterlassen.

Wie fast alle muslimische Rebellen auf Mindanao war auch Baba Butz ursprünglich Bauer. Ihm ging es etwas besser als den meisten, denn er arbeitete hin und wieder für die Wahlkommission der Provinzregierung. Mit seinen christlichen Nachbarn lebte er harmonisch zusammen. Sie schenkten ihm einen Teil ihres Weihnachtsessens, er gab ihnen etwas von den Köstlichkeiten des Fests am Ende des Ramadan ab.

Doch Diktator Marcos forcierte die Ansiedlung von Christen auf Mindanao, dem „verheißenen Land“. Die paramilitärischen Killertrupps der Ilaga sorgten dafür, dass christliche Siedler genug Land bekamen. Anfang des 20 Jahrhunderts lebten fast ausschließlich Muslime auf Mindanao, heute machen sie nur noch zwanzig Prozent der Bevölkerung aus.

Der Bürgerkrieg auf Mindanao verlief damals wie heute in Schüben

Die Ilaga ermordete einen Onkel von Baba Butz, fackelten die Moschee im Ort ab, in der ein paar Dutzend Menschen beteten. Baba Butz schmiss seinen Job bei der Regierung hin und schloss sich den Rebellen an. Der Bürgerkrieg auf Mindanao verlief damals wie heute in Schüben. In den Kampfpausen war Baba Butz wieder Bauer, sein „Camp“ ein zerstörtes Dorf, in dem Christen und Muslime nicht mehr miteinander sprachen.

Vierzehn Mal wurde er in seinem Leben evakuiert, oft für mehrere Monate. Pater Bert leitete den letzten Wiederaufbau seines Dorfes. Baba Butz konnte kaum glauben, dass ein Christ Muslimen und Gleichgläubigen ohne Unterschied half. „Er hat dieses grundsätzlich Gute in sich“, sagt Baba Butz. Auch das ein Satz von Pater Bert. Vielleicht sein wichtigster. Er sagt ihn über alle Menschen dieser Welt. Vielleicht werden ihn eines Tages auch die Verwandten von Baba Butz verstehen, die ihn wegen seiner Arbeit in der Waffenstillstands-Wacht als Kollaborateur beschimpfen.

Am nächsten Tag versucht die Wacht erneut, in den Liguasan-Sumpf vorzudringen, wieder gemeinsam mit dem Waffenstillstands-Komitee von Armee und Rebellen. Baba Butz trägt eine graue, ausgeleierte Weste, in die mit rotem Zwirn „Ceasefire-Watch “ gestickt ist, seine Hose hat er hochgekrempelt. Der Cornel trägt braune Lederslipper und ein gelbes Poloshirt, ein Satellitentelefon klemmt an seinem Gürtel. Er ähnelt dem Delegierten der Rebellen, Sohn eines Sultans und Mitglied des Zentralkomitees der MILF. Beide sprechen erheblich lauter als Baba Butz. Sogar eine Kamera des philippinischen Fernsehens ist dabei, in die sie schauen können.

Gehört die Kidnapper-Bande „Pentagon“ nun zu den Rebellen oder nicht?

Am Rand des Sumpfes erreichen sie den Bootssteg eines Fischerdorfs. Männer drängeln sich um die Delegation. Sie wollen wissen, warum die Armee die Siedlungen in den Sümpfen angegriffen hat. 280 Familien hat Baba Butz in seinem Notizheft als Flüchtlinge vermerkt, deutlich mehr als die 46, von denen die Armee spricht. Außerdem hat er erfahren, dass eine Zivilistin verletzt wurde. Er fordert vom Cornel und dem Sultanssohn, dass sie von einem Arzt untersucht wird.

„Kidnapper-Bande bombardiert, 17 Tote“ stand bereits am Morgen in den Zeitungen. In die Sümpfe sollen sie Geiseln in ihr Versteck geschleppt haben: chinesische Ingenieure, einen italienischen Priester, Geschäftsleute aus Manila. Was aber niemand genau weiß: Gehört die Kidnapper-Bande „Pentagon“ nun zu den Rebellen oder nicht? Wird es Vergeltung, eine Eskalation geben wie vor einem Jahr? Auch bei diesem Krieg war die Pentagon-Gang der Auslöser. Sie finanziere die MILF, hatte die Armee behauptet. Als sie Regierungstruppen das Versteck im Sumpf überrennen wollte, schlug die MILF zurück. Die Kämpfe weiteten sich auf ganz Zentral-Mindanao aus und Pater Berts Konvent füllte sich wieder einmal mit Flüchtlingen. Oder können die Familien in ihre Häuser im Sumpf zurückkehren?

„Um das herauszufinden, sind wir hier“, sagt der Cornel und betritt mit seinen Lederslippern ein leckes Kanu. Junge Männer mit Panzerfäusten, uralten Maschinengewehren und Patronengürteln kreuzweis um ihre Schultern gelegt, sichern die Kanus an Bug und Heck. Piratentücher verhüllen ihre pickligen Gesichter.

„Kehrt in eure Häuser zurück, der Angriff ist vorüber!“

Nach einer Stunde Fahrt auf einer schmalen, verschlungenen Wasserstraße im Schilf, legen die Kanus an einer Stelzhütte an, die von einer Granate getroffen wurde. Die Bewohnerin konnte sich durch einen Sprung ins Wasser retten. Sie wurde nur leicht von einem Granatsplitter am Oberarm gestreift. Baba Butz besteht nicht mehr darauf, sie von einem Arzt behandelt zu lassen, ein Pflaster tut´s auch.

Zweihundert Meter weiter steht das Haus der Pentagon-Gang auf Stelzen mitten im Wasser. Das Palmdach haben Maschinengewehre durchsiebt, von massiver Bombardierung keine Spur. „Alonto Tahir, der Anführer, und sechs weitere Personen wollten in einem Kanu flüchten“, sagt ein Augenzeuge. Wo sich die Leichen befinden, weiß er anscheinend nicht.

Der Cornel gibt Entwarnung: Die Pentagon-Gang sei erledigt. Sie gehörte nicht zur MILF. „Kehrt in eure Häuser zurück, der Angriff ist vorüber!“ sagt er den Männern am Steg. Baba Butz ist sich da nicht so sicher. „Vor einem Jahr haben sie auch schon mal den Sieg über die Pentagon-Gang erklärt.“

Pater Bert holt sich die Information lieber aus erster Hand und fährt im blauen Samurai zu Fort Pikit, einem spanischen Festung aus der Kolonialzeit, mit kilometerweitem Blick über Reisfelder und Kokospalmen. Der Kommandeur des Forts sitzt im Baseballoutfit in seiner Kommandozentrale, die philippinische Flagge hängt schlaff neben seinem Schreibtisch, an der Wand ein Bild der Ka´aba von Mekka.

Über große Lautsprecher ruft ein Muezzin fünf Mal am Tag zum Gebet.

Gleich hinter seinem Headquarter hat er aus Bambusrohr eine kleine Moschee bauen lassen. Über große Lautsprecher ruft ein Muezzin fünf Mal am Tag zum Gebet. Die muslimischen Anwohner sollen hören, dass auch in der philippinischen Armee Muslime dienen. Unter dem Funkmast gackern Hühner. Es waren einmal 500 und sollten den Vertriebenen helfen, wieder ein normales Leben zu beginnen. Dolorfino wollte mal was anderes liefern als nur Bomben. Doch eine Hühnerpest killte das Projekt. Er versucht es jetzt mit dem Wiederaufbau von Schulen und Medikamenten.

Dolorfino – übersetzt: „Der feine Schmerz“ – ist kein gewöhnlicher Militär. Er ist Pater Berts lebender Beweis für „das grundsätzlich Gute“ in jedem Menschen. Dass gerade er in das notorische Krisengebiet Pikit versetzt wurden, deutet Pater Bert als Zeichen der Regierung an die Bevölkerung, dass sie es ernst meint mit den Friedensverhandlungen.

Dolorfino will keinen Krieg gegen seine Glaubensbrüder. „Die MILF hat uns sogar den Standort der Pentagon-Gang durchgegeben“, verrät Dolorfino dem Pater und lächelt verlegen. Er weiß, es klingt absurd, aber die Rebellen arbeiten derzeit mit der Armee zusammen, um ihre Chancen für erfolgreiche Friedensverhandlungen mit der Regierung zu verbessern. Die Pentagon-Gang war ein Opfer. Als Lohn für den guten Willen hat sich Manila in Washington dafür eingesetzt, dass die MILF von der Liste terroristischer Organisationen genommen wurde.

Mit dem Cornel diskutiert Pater Bert oft über Friedenszonen. Erst vergangene Woche auf einem Seminar der Universität Manila. Sie haben sich sogar das Hotelzimmer geteilt. Obwohl der Cornel so ein höflicher Mensch ist, sagt er: „Eine Friedenszone, in die das Militär nicht bewaffnet rein darf, akzeptiere ich nicht. Kidnapper wie die Pentagon-Gang könnten sich darin verstecken.“

Die erste „Peace Zone“ wurde 1988 in Naga City ausgerufen

Das macht die Diskussion kompliziert, denn über das Waffenverbot für Rebellen und Soldaten wurde eine „Peace Zone“ ursprünglich definiert. Die erste wurde 1988 in Naga City ausgerufen, einer bergigen Gegend, in der die kommunistische „New Peoples Army“ gegen die Regierung kämpfte.

Der Ältestenrat in Naga City war stark genug, das Waffenverbot bei den jungen Männern im kampffähigen Alter durchzusetzen. Heute ist die 100.000 Einwohner-Stadt ein prosperierender Erholungsort für Touristen aus Manila. Weitere Gemeinden folgten, vierzig insgesamt. Allerdings hatte nicht jede einen Ältestenrat wie Naga City. Nach einer Studie des Gaston Ortigas Friedensinstituts in Manila hängt der Erfolg einer Friedenszone entscheidend davon ab, ob sich Institutionen wie der Ältestenrat oder die Kirche für die Zone stark machen.

In Tulunam brach vor einigen Monaten die Peace Zone zusammen. Rebellen hätten Waffen hinein geschmuggelt und sie zur Auffrischung ihrer Kräfte missbraucht, behauptete die Armee. Sie besetzte die Stadt vorübergehend.

Pater Bert kann dem Kommandeur von Fort Pikit nicht die Waffen wegnehmen. In der Friedenszone Nalapa´an sind auch heute noch drei Soldaten und zehn Paramilitärs stationiert. Er kann den Cornel aber missionieren. Damit meint er keineswegs, den Cornel zum Christentum zu bekehren. Pater Bert möchte „Menschen näher zu Gott bringen, indem ich ihnen einen Weg zeige, Gutes zu tun.“

Das Elend der Flüchtlinge ließ ihn schnell jeden religiösen Vorbehalt vergessen

Den Weg, den Pater Bert zeigt, ist die Friedenszone. Er glaubt, dass ihn Cornel Dolorfino betreten hat. Im Krieg vor einem Jahr befanden sich anfangs nur sehr wenige Männer in den Evakuierungslagern. Nach einigen Wochen stellte der Kommandeur fest: „Pater, es sind mehr geworden. Die haben doch bis jetzt für die MILF gekämpft?“ Der Pater hat nicht gelogen und „ja“ gesagt. „Das hier ist eine Friedenszone“, antwortete der Kommandeur, „solange die Männer bei ihren Familien sind, lassen wir sie in Ruhe. Kämpfen tun wir woanders.“

Soviel Anstand kennt Pater Bert längst nicht von allen Militärs. Er ist in einem muslimischen Dorf groß geworden und sieht die Schädel muslimischer Rebellen noch vor sich, die christliche Killertrupps als Abschreckung der Bevölkerung gezeigt haben. Sein bester Freund hieß Quezon, ein Muslim. Sie gingen miteinander zur Schule, spielten Basketball, stahlen Kokusnüsse. Als Soldaten wieder einmal in ihr Dorf einfielen, harrte Bert mit seiner Familie in einem Erdloch bis zum nächsten Morgen aus, Quezon flüchtete mit seiner Familie. Sie haben sich nie wieder gesehen.

Der Krieg aber setzte sich fort, machte selbst Pater Bert für kurze Zeit zum Moslem-Hasser. Sein spiritueller Vater, der Bischof von Jolo, wurde von Islamisten erschossen, nachdem er sich zwei Jahrzehnte lang um interreligiösen Dialog bemüht hatte. Pater Bert konnte nicht mehr mit ganzem Herzen Toleranz gegenüber Andersgläubigen predigen und bat seinen Orden um Versetzung nach Pikit. Doch wenige Tage nach Antritt seiner neuen Stelle brach der Bürgerkrieg wieder aus. Das Elend der Flüchtlinge ließ ihn schnell jeden religiösen Vorbehalt vergessen. „Die Friedenszone erinnert die Kämpfer permanent daran, dass wir Menschen sind.“

„Auch die Armee hat die Erklärung zur Friedenszone unterschrieben!“

Pater Bert hat viel Optimismus und sammelt auch kleine Beispiele, um ihn zu nähren. Als sich ein Paramilitär nach einem Gefecht betrank, in die Friedenszone eindrang und einen Bauern ohrfeigte, protestierte Pater Bert beim Vorgesetzten des Soldaten: „Auch die Armee hat die Erklärung zur Friedenszone unterschrieben! Dieser Soldat hat sie verletzt!“ Er musste Tausend Peso, umgerechnet zehn Euro Strafe zahlen, der Offizier zog seine Einheit aus der Nähe der Friedenszone ab, um weitere Zwischenfälle zu vermeiden.

Von der MILF kann er Ähnliches erzählen. Nachdem Rebellen in die Friedenszone eindrangen, Bewohner bedrohten und zwölf Wasserbüffel stahlen, schickte Pater Bert einen Beschwerdebrief an den stellvertretenden Kommandeur der MILF. „Möge Allah mit Ihnen sein“ lautete sein letzter Satz. Der Kommandeur versprach die Rebellen zu bestrafen und schenkte Pater Bert einen Koran – wenn auch keine Wasserbüffel.

Der steht jetzt im Bücherregal von Pater Berts Zimmerchen, neben Ghandis Autobiographie, Büchern über den Islam und Martin Luther King. Gegen fünf Uhr Abends füllt sich der Konvent wieder mit Leben. Baba Butz kehrt mit der Waffenstillstands-Wacht zurück und geht in Pater Berts Zimmer beten, zwei Mitarbeiter zählen die Kollekte vom Morgen und „Frieden“ quält Frösche auf der Terrasse. Zur gleichen Zeit sitzen dreitausend Kilometer weiter östlich die Repräsentanten von MILF und Regierung an einem Verhandlungstisch in Malaysia und gehen zum ersten mal in der Geschichte des Friedensprozesses Details wie die Landfrage an. In Manila sind die Bürozeiten vorüber und Pater Bert bekommt von der Präsidentenberaterin Teresita Quinto-Deles eine SMS: „Glückwunsch, Pater, für den Einsatz der Waffenstillstands-Wacht!“ Das Rote Kreuz Schweden hat sich morgen für einen Besuch angekündigt. Außerdem ein Mitarbeiter der Weltbank. Er interessiere sich für die „Nachkriegsgesellschaft“ auf Mindanao. Pater Bert zuckt mit den Schultern, der Optimismus der Weltbank übersteigt sogar seinen. „Vielleicht haben die ja eine Information, die bei uns noch nicht angekommen ist.“

Update Frühjahr 2009

Konflikt:

Ein Friedensabkommen war bis zum Sommer 2008 greifbar nahe. Die Regierungsseite zögerte jedoch im letzten Moment, die vereinbarte Autonomie tatsächlich zu gewähren. Ein Gerichtsurteil ließ alle Hoffnungen auf eine baldige politische Lösung platzen. Einige MILF-Kommandeure griffen wieder zu den Waffen, 500.000 Menschen sind seither vertrieben worden.

Projekt:

Unsere Reportage beschreibt, wie Pater Robert Layson und seine Mitarbeiter die Ausweitung der „Friedenszone“ Nalapa‘ an bei Pikit vorbereiten. Vier Monate nach unserer Abreise kam es am 29. November 2004 tatsächlich zu der feierlichen Proklamation. Es nahmen teil: ein General, Vertreter der Rebellen, der Erzbischof, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und natürlich die muslimischen und christlichen Einwohner der neuen Friedenszone, 3000 Menschen insgesamt. Die Folgejahre verliefen gut: Die Waffenstillstands-Wacht wuchs von 50 auf 700 Reisbauern, jeder von ihnen mit Handy ausgestattet. Pater Bert fuhr unermüdlich durchs Land und gab so viele Seminare zum interreligiösen Dialog, bis dieser schließlich zur verbindlichen Leitlinie seiner Diözese erhoben wurde – eine 120 Grad-Wende der lokalen Kirche. Seit Sommer 2008 nimmt Pater Bert ein Sabbatical. Er will seine Erinnerungen aufschreiben, Zeit mit seiner 82-jährigen Mutter verbringen und sich endlich wieder einmal „zu Hause“ fühlen. Kurz vor seinem Sabbatical berichtete Pater Bert auf einem Peace Counts-Forum in Davao-City von seiner Arbeit. Er machte einen erschöpften Eindruck und war sichtlich von der sich verschlechternden Sicherheitslage auf Mindanao bedrückt. Dem Forum folgte eine zweiwöchige Workshop-Reihe. Im Veranstaltungsort Museo Dabawenyo befindet sich heute eine permanente Peace Counts-Ausstellung.