Rinnsal im Garten des Herrn

JordanText von Bernd Hauser
Fotos von Ivo Saglietti

Lot ließ sich im Jordan-Tal nieder, so steht es im Alten Testament, weil es „bewässert war wie der Garten des Herrn“. Heute ist der Jordan im Unterlauf ein stinkender Abwasserkanal. Umweltschützer wollen das in einer einzigartigen Zusammenarbeit ändern: Während der politische Konflikt im Nahen Osten fast jeden Tag neue Todesopfer fordert, arbeiten bei den „Friends of the Earth Middle East“ Israelis, Palästinenser und Jordanier gemeinsam daran, dass das Jordan-Tal als UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnet wird. Eine Erkundungsfahrt mit den Umweltschützern an dem Heiligen Fluss.

Wenn ein Windhauch weht, trifft er die Gesichter mit der Hitze eines Haarföns. Zwischen den kahlen Hügeln aus Kalkstein streifen sich Murat und seine Freunde die T-Shirts ab und springen in ihren Jeans in ein Bassin, in das aus einem Betonkanal klares Wasser schießt. Die Al-Ouja-Quelle unweit von Jericho ist eine der wichtigen Quellen für die Versorgung der palästinensischen Landwirtschaft. Seit dem Krieg und der anschließende Besetzung des Westjordanlandes durch die israelische Armee im Jahre 1967 haben die Palästinenser keinen Tropfen Wasser aus dem Jordan mehr nutzen können: Der Fluss bildet die Grenze zu Jordanien, und die Armee hat die Umgebung zum Sperrgebiet erklärt.

Mit Wasser erblüht die Wüste zu einem Garten Eden

Der siebzehnjährige Murat kommt jede Woche zu der Quelle, doch das Schwimmen hat er nie gelernt. Dazu ist das Bassin zu klein. In einem Schwimmbad war er noch nie, und ans Meer zu kommen ist ein unerreichbarer Traum, auch wenn Tel Aviv mit seinem süßen Strandleben nur eine gute Autostunde entfernt liegt. Palästinenser im Westjordanland können aus ihrer Heimat nur über die nahe Allenby-Brücke nach Jordanien ausreisen, und Murats Eltern haben wenig Geld. Sie sind Tagelöhner, derzeit arbeiten sie in den Traubenplantagen eines israelischen Siedler-Betriebs im Westjordanland.

Mit Wasser erblüht die Wüste zu einem Garten Eden. Während die palästinensische Landwirtschaft vor allem die eigenen Leute mit dem wichtigsten Gemüse versorgt, bauen die Israelis Früchte an, die in Europa Geld bringen. Erdbeeren, Aprikosen, Mangos, sogar Bananen, die gewöhnlich in den regenfeuchten Tropen gedeihen und im glutheißen Jordantal pro Quadratmeter eintausend Liter Bewässerung pro Jahr erfordern. „Ein Wahnsinn“, sagt Nader Al-Khateeb, 44, Hydrologe und palästinensischer Direktor der Umweltschutzorganisation FOEME. Weil ihre Landwirtschaft riesige Mengen an Wasser verbraucht, entnehmen die Jordanier und Israelis im oberen Bereich des Jordans sämtliches Wasser. Im Unterlauf wird der Fluss fast ausschließlich aus weit gehend ungeklärten Abwässern gespeist. Das Tote Meer erreicht er als schmutziges Rinnsal. Dadurch sinkt der Spiegel des Salzwassersees jedes Jahr um einen Meter, ein Drittel seiner Oberfläche ist bereits verlandet.

„Friends of the Earth Middle East“ haben Büros in Amman, Bethlehem und Tel Aviv

Das Wasserproblem der Region ist die dringlichste Aufgabe für „Friends of the Earth Middle East“ (FOEME), gegründet im milden Klima der Friedensverhandlungen vor zehn Jahren: Jordanische, palästinensische und israelische Umweltschützer taten sich damals zum ersten Mal zusammen. „Umweltschutz kennt keine Grenzen, wir können nicht auf eine politische Lösung des Nahost-Konflikts warten“, erklärt Khateeb. „Sogar die fanatischsten Politiker müssen zustimmen, dass die Umwelt ohne Zusammenarbeit nicht zu schützen ist.“ FOEME hat Büros in Amman, Bethlehem und Tel Aviv, geführt jeweils von einheimischen Direktoren, die gleichberechtigt und eng zusammenarbeiten – das macht FOEME zu einer einzigartigen Nichtregierungsorganisation im Nahen Osten.

Die Umweltschützer von FOEME würden nie Kühltürme besteigen oder sich an Schienen ketten. Sie sprechen mit den Argumenten und im Polit-Jargon der Entscheidungsträger. Lassen Ökonomen Studien machen, die belegen, dass sich Gewässerschutz auch wirtschaftlich rechnen würde. Und nun ihre neueste Idee, um Druck zu machen auf die Regierungen: Sie wollen, dass das Jordan-Tal als Weltkulturerbe ausgezeichnet wird. Deshalb sind nun ein Dutzend ihrer Mitglieder drei Tage lang auf Erkundungsfahrt in Palästina, Israel und Jordanien. Sie untersuchen die Wasserversorgungs-Situation und besuchen antike Ruinen, Natursehenswürdigkeiten und Pilgerstätten am Jordan, um für die Weltkulturerbe-Bewerbung bei der UNESCO das Potential des Tals auflisten zu können.

Täglich verbrauchen die israelischen Siedler 300 Liter Wasser pro Kopf

Hundert Meter von der Al-Ouja-Quelle steht ein umzäuntes Häuschen. „Das ist der Tiefbrunnen der nationalen israelischen Wassergesellschaft“, erklärt Khateeb. „Aus diesem Tiefbrunnen wird Wasser in die israelischen Siedlungen gepumpt. Dadurch sinkt der Grundwasserspiegel und die Al-Ouja-Quelle verliert einen Teil ihrer Schüttung.“ Täglich verbrauchen die israelischen Siedler in ihren von bewaffneten Wächtern und der Armee gesicherten Trutzburgen auf den Berghügeln des Westjordanlandes 300 Liter Wasser pro Kopf. „Die palästinensische Bevölkerung hat nur Zugang zu 50 bis 70 Litern“, sagt Khateeb, und man spürt etwas von dem Zorn, der in ihm brodelt.

Als israelische Soldaten im April 2002 nach Betlehem einrückten, eine Ausgangssperre verhängten und Wassertanks auf den Hausdächern zerschossen, war auch Khateeb mit seiner Frau und den sechs Kindern in seinem Haus gefangen. Weil in den palästinensischen Gemeinden aufgrund der Versorgung mit häufig trockenfallenden Brunnen manchmal über Tage und Wochen kein Wasser aus den Leitungen kommt, versorgen sich die Menschen über Vorratstanks. Khateeb startete über E-Mail eine Initiative, um Geld zu sammeln. Die Kollegen im Tel Aviver Büro halfen beim Fundraising. Insgesamt konnte FOEME 300 Wassertanks reparieren und ersetzen, auch mit Spenden israelischer Bürger. Humanitäre Hilfe, Umweltschutz und Friedensbemühungen: „In unserer Region lässt sich das nicht trennen. Wenn endlich Frieden herrscht, geht es auch mit dem Umweltschutz leichter voran“, sagt Khateeb.

Für einen Jordanier kann es gefährlich sein, mit Israelis zusammenzuarbeiten

Die Hitze an den Al-Ouja-Quelle wird immer unerträglicher. Munqeth Mehyar springt zu den Jugendlichen ins Bassin und versucht gegen das aus einem Betonkanal schießende Wasser zu crawlen. „Ich schwimme gern gegen den Strom“, sagt Mehyar, 47. Als Mitbegründer und jordanischer Direktor von FOEME ist er bei vielen seiner Landsleute Misstrauen ausgesetzt, vor allem seit die zweite Intifada tobt und fast jeden Tag Opfer auf israelischer und arabischer Seite zu beklagen sind. Für einen Jordanier kann es seither sogar sehr gefährlich sein, mit Israelis zusammenzuarbeiten.

„Es braucht Mut, weiterzumachen“, sagt Mehyar. Einmal verließ er, ein stiernackiger Mann mit heller Haut und rötlichem Haarkranz, abends sein Büro in Amman und stieg zu einem Mitarbeiter ins Auto. Plötzlich krachte ein Schuss, die vorderen Seitenscheiben zersplitterten. Die Kugel aus einer großkalibrigen Magnum-Pistole war nur wenige Zentimeter an den Köpfen von Mehyar und seinem Mitarbeiter vorbeigegangen, bevor sie in einer Hauswand stecken blieb. Die Attentäter rasten in einem Auto davon. Das war vor drei Jahren, aber wenn Mehyar davon erzählt, wird er noch immer wütend. „Menschen, die offenbar überhaupt nicht wissen, wer ich bin, wollten mich töten.“ Er vermutet, dass er zum Ziel der Terroristen wurde, weil er mit seinem rötlichen Haar wie ein Ausländer aussieht und als FOEME-Direktor häufig Besuch aus Israel hat. Nach dem Anschlag habe er nie daran gedacht, aufzuhören mit seiner Arbeit. „Ich hätte mich als Feigling betrachtet.“

Millionen Vögel nutzen das Jordan-Tal als Flugkorridor und Ruheplatz

Mehyar ist für FOEME wichtig, weil er als Jordanier zwischen israelischen und palästinensischen Beamten und Funktionären vermitteln kann. „Unsere Organisation kann so als Modell für neue Umwelt- und Friedensinitiativen dienen.“ Im eigenen Land macht Meyhar Lobbyarbeit bei Naturschutzverbänden für Kooperationen über den Jordan hinweg. FOEME stieß Vogelschützer auf beiden Seiten des Flusses an, die gemeinsame Organisation „Birds Life International“ zu gründen. Millionen Vögel nutzen das Jordan-Tal als Flugkorridor und Ruheplatz zwischen Afrika und Europa. Durch die Kooperation zwischen jordanischen und israelischen Ornithologen werden Beringungsaktionen und andere wissenschaftliche Studien sinnvoll. „Zu Beginn hätten die Naturschutz-Funktionäre in Jordanien öffentlich jede Verbindung zu israelischen Kollegen geleugnet! Aber unser Beispiel ermutigte sie.“

Die Fahrt der Gruppe geht weiter, aus dem Westjordanland zunächst nach Israel, dann nach Jordanien. Khateeb muss sich verabschieden. als Palästinenser darf er nicht über die König-Hussein-Brücke von Israel nach Jordanien reisen. Er muss die Grenze über die Allenby-Brücke unweit von Jericho queren, um am Morgen des übernächsten Tages in Jordanien wieder mit der Gruppe zusammentreffen zu können. Das Warten an der Grenze wird ihn viele Stunden kosten. Weil die israelischen Grenzbehörden nur tagsüber arbeiten und die Kontrollen gründlich sind, warten ganze Familien oft tagelang bei vierzig Grad Celsius, bis sie über den Jordan hinüberdürfen.

Der Bus der „Friends of the Earth Middle East“ kommt also ohne den palästinensischen Direktor im israelischen Bet Shean an. Nach dem langen Tag in der Hitze freuen sich die Gäste über einen Sprung in das bei der Herberge gelegenen Schwimmbads.

Umweltschutz funktioniert nur, wenn der gesamte Nahe Osten zusammenarbeitet

Gidon Bromberg, 40, der Initiator von FOEME, ist kein Naturschützer in Sandalen und Strickpullover. Am nächsten Morgen glänzen seine Lederschuhe, als ginge es zu einer internationalen Konferenz, und nicht wieder in staubiges Wüstenland. Seine Abschlussarbeit im Jura-Studium in Washington hieß „Umweltschutz-Auswirkungen des Friedensprozesses“. Die Quintessenz darin: Umweltschutz funktioniert nur, wenn der gesamte Nahe Osten zusammenarbeitet. Damit hatte der eloquente Jurist seine Lebensaufgabe gefunden. Er warb bei jordanischen, ägyptischen, israelischen und palästinensischen Umweltgruppen für die Idee einer gemeinsamen Organisation – und war erfolgreich. „1994 war ein gutes Zeitfenster für die Idee. Die Zeichen waren auf Frieden gestellt.“

Heute arbeitet Bromberg häufig sieben Tage die Woche. Wenn man ihn nach Hobbies fragt, muss er nachdenken, bevor er sagt: „Lesen. Politische Bücher. Über den Nahen Osten.“ Vor allem ihm ist zu verdanken, dass die drei Büros von FOEME heute 27 Mitarbeiter und ein jährliches Budget von einer Million Euro haben, das sie vor allem von der EU, europäischen und der US-amerikanischen Regierung bekommen. Die Ägypter stiegen zwar 1998 aufgrund innenpolitischen Drucks wieder aus, aber dass Jordanier, Palästinenser und Israeli trotz der beinahe täglichen Anschläge immer noch zusammenarbeiten, liege an dem persönlichen Vertrauen, das in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut werden konnte und durch den aktuellen Konflikt zwischen den Nationalitäten keinen Schaden nimmt, weil es eine gemeinsame politische Überzeugung gibt. „Es gibt keinen Zweifel für uns alle, dass es neben Israel ein unabhängiges Palästina geben muss“, sagt Bromberg. „Die große Mehrheit der israelischen Siedlungen im besetzten Gebiet müssen aufgegeben werden. Die meisten Israelis wissen, dass nur das die Lösung ist. Es ist nur eine Frage, wie viele Leben vorher noch verloren werden müssen.“

„Wir suchen auch nach Gerechtigkeit und Möglichkeiten, Frieden zu stiften.“

Deshalb sei FOEME mehr als eine Naturschutz-Organisation. „Wir suchen auch nach Gerechtigkeit und Möglichkeiten, Frieden zu stiften.“ Für das Wasserproblem heißt das: „Die israelische Landwirtschaft muss Wasser an die palästinensische abgeben.“ Aber langfristig sollte Landwirtschaft nicht die ökonomische Grundlage der Region sein, betont Bromberg. Gäbe es die fast tägliche Gewalt nicht, wäre in anderen Branchen viel mehr Geld zu verdienen, vor allem im Tourismus.

Der Bus der Umweltschützer fährt hinunter an den Jordan, wo ein Kibbuz eine Stätte betreibt, an der Busladungen von christlichen Pilgern über breite Treppen sicher in den Fluss gelangen können. Niemand behauptet, dass hier der tatsächliche Ort liegt, an dem Jesus Christus von Johannes getauft wurde. Aber unterhalb des See Genezareth, aus dem Israel ein Drittel seines Trinkwassers bezieht, ist der Fluss noch sauber und ein Bad erquicklich. Die Stätte ist touristenleer. Seit dem Beginn der zweiten Intifada vor vier Jahren kommen statt einer halben Million Pilger gerade noch 50.000 im Jahr. Drei Kilometer weiter südlich endet der saubere Jordan plötzlich. Ein Damm aus Erdreich quert den Fluss. Unterhalb des Damms führt ein Betonrohr braunes und Blasen schlagendes Wasser in das leere Flussbett: Abwasser aus den nahen israelischen Gemeinden. Der gesamte Lauf des unteren Jordan bis zum Toten Meer wird aus nur mangelhaft oder gar nicht geklärtem Wasser gespeist. „Das Geld geht in das Militär und in die Sicherheit. Umweltschutz ist keine Priorität“, erklärt ein mitreisender Hydrologe der israelischen Naturschutzbehörde.

Auf dem Rückweg von dem Damm bleibt der Bus stecken. Das Wasser aus einem Leck in einer Bewässerungspipeline hat den Feldweg in Morast verwandelt. Juden und Araber legen gemeinsam Hand an, um den Bus wieder flott zu machen. Sie schaffen es nicht. Ein Allrad-Fahrzeug des nahen Kibbuz muss helfen.

„Wir müssen der Welt sagen, was dem Jordan zugestoßen ist .“

Dann geht es steil bergan zu den Ruinen der Kreuzfahrer-Burg Belvoir. 300 Meter über dem Meeresspiegel liegt die Festung auf einer kargen Höhe und der Blick geht 550 Meter tief in die grüne Ebene des Jordan-Tals. Archäologe Gideon Avni von der „Israel Antiquities Authority“ berichtet, wie in der byzantinischen und frühislamischen Periode Christen, Muslime und Juden als Nachbarn friedlich nebeneinander lebten, etwa in Bet Shean. Mosaik-Künstler der gleichen Schule arbeiteten für Synagogen, Kirchen und muslimische Paläste. Im elften Jahrhundert kamen die Kreuzritter, sie blieben nur wenige Jahrzehnte, aber das reichte. Nach ihren Massakern an Muslimen, Juden und auch orthodoxen Christen war die Jahrhunderte währende friedliche Koexistenz beendet.

Drei Stunden dauern die Grenzformalitäten, bevor die Umweltschützer in das Land kommen, das den Fluss im Namen führt. „Neue Beweise“, behauptet der Prospekt der Tourismusbehörde in Jordanien, zeigten, „dass Johannes der Täufer am Ostufer wirkte und zwar beim Dorf Al-Kafrayn“. Dort führt ein frisch angelegter Weg zu sorgfältig gezimmerten Stegen. Nur der Fluss, der zum fünf Meter breiten Rinnsal geworden ist, wirkt nicht mehr einladend. Das Wasser ist undurchsichtig und dunkel.

„Wir müssen der Welt sagen, was dem Jordan zugestoßen ist – sie weiß nichts von dem braunen und schwarzen Abwasser, das hineingeleitet wird in den Fluss, der heilig ist für Millionen Menschen auf der ganzen Welt“, sagt Gidon Bromberg, er hört sich an, als spräche er bereits bei der internationalen Konferenz im Dezember, bei der FOEME ihr Weltkulturerbe-Konzept für das Jordantal Medien, Diplomaten und den drei Regierungen präsentieren wollen. Die Kampagne für die Ausweisung des Jordantals als Weltkulturerbe ist ein geschickter Umweg, der schneller zum eigentlichen Ziel führt: „Wir wollen, dass Jordanien und Israel weniger frisches Wasser aus dem Oberlauf entnehmen und statt zehn Prozent mindestens dreißig Prozent der ursprünglichen Menge im Toten Meer ankommen.“ Eine Politik, die sich auch wirtschaftlich rechnen würde: Der Bade-Tourismus am Toten Meer, durch die Verlandung des Salzwassersees bedroht, verspricht viel mehr Umsatz als die Landwirtschaft. Bromberg, der gelernte Jurist, erinnert an eine Gerichtsverhandlung, die alle kennen: „Es ist wie bei dem Streit um das Kind bei Salomon. Wer bereit zum Einlenken ist, gewinnt, statt alles zu zerstören.“